Insights
The Circle of Life: Warum und wann Kreislaufwirtschaft Trumpf ist
Schätzungen zufolge sind zwei Drittel der weltweiten CO2-Emissionen Embodied Carbon. Was kann der Bausektor dagegen tun? Mit dem Potential der Kreislaufwirtschaft und den richtigen Maßnahmen können die Emissionen aus Baumaterialien um 60 % reduziert werden. Erfahren Sie hier, wie das funktionieren kann und was Sie tun können.
Wegwerfgesellschaft. Klingt negativ und ist auch so gemeint. Das Bewusstsein dafür, dass an deren Prinzipien so einiges nicht stimmen kann, hat sich - glücklicherweise - längst in weiten Teilen der Gesellschaft durchgesetzt. Wiederverwenden statt verschwenden, das ist die Devise. Statt immer mehr Ressourcen aufzubrauchen, sollten wir im Sinne des unabdingbaren Umwelt- und Klimaschutzes stets prüfen, ob sich stattdessen nicht alte Materialien wieder- oder anders verwenden lassen. Stichwort: Kreislaufwirtschaft.
Kreislaufwirtschaft ist logisch und bietet zahlreiche Vorteile, sowohl für einzelne Unternehmen und die Wirtschaft als auch für die Gesellschaft als Ganzes. Allerdings, und auch das ist wichtig zu erwähnen: Die ideale Vorstellung der Kreislaufwirtschaft stößt auch an Grenzen und muss stets an ihrem tatsächlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Gesellschaft gemessen werden.
De facto ist Kreislaufwirtschaft bisweilen nicht inhärent klimafreundlicher, da manchmal die Neugewinnung von Ressourcen gegenüber einem energieintensiven Recycling im Vorteil sind oder schadstoffhaltige Materialien lieber aus dem Kreislauf entfernt werden sollten (mehr dazu unten).
Bauwirtschaft: Die mit dem großen Hebel
Der Bausektor gehört zu den rohstoffintensivsten Wirtschaftsbereichen. Was hier an Material benötigt wird, und was dadurch an Emissionen entsteht, ist immens. Laut World Green Building Council stehen 39 % aller globalen CO₂-Emissionen mit Materialien, Konstruktion und Nutzung von Gebäuden in Verbindung. 11% davon werden als sogenannter “Embodied Carbon” bezeichnet. Gemeint ist damit der Carbon Footprint oder die CO2-Bilanz von Materialien, die alle Emissionen, die bei der Herstellung, dem Transport, dem Bau, der Wartung und der Entsorgung von Baumaterialien entstehen, beinhaltet.
Durch die zunehmende Nutzung neuer materieller Ressourcen beim Bau von Gebäuden schnellen Treibhausgasemissionen in die Höhe. Sie entstehen bei der Gewinnung, der Verarbeitung, Transport, Montage. Genauso wie sie auch bei der Entsorgung von Materialien entstehen. Das Klima leidet. Vermeiden oder zumindest deutlich reduzieren lassen sich materialbedingte Emissionen in vielen Fällen, wenn bereits vorhandene Materialien in Gebrauch gehalten werden.
Mit den richtigen Maßnahmen für die Kreislaufwirtschaft können die Emissionen aus Baumaterialien um schätzungsweise 60 %, im Vergleich zu einem Basisszenario reduziert, werden. Das wäre ein gewaltiger Schritt in Richtung Net Zero. So geht klimafreundliches Bauen.
EU-Taxonomie
Ziel: Übergang zur Kreislaufwirtschaft
Die EU-Taxonomie wird europäische Finanzinstitute und Unternehmen verpflichten, ihre ökologische Nachhaltigkeit nachzuweisen. Erfahren Sie hier, was die neue Taxonomie umfasst - und warum sie durchaus Vorteile birgt.
Was bedeutet Kreislaufwirtschaft im Bausektor?
Als Maßnahmen der Kreislaufwirtschaft im Sinne nachhaltigen Bauens werden definiert:
- Maßnahmen, die zur Reduzierung des Materialeinsatzes beitragen (Materialeffizienzmaßnahmen); dazu zählt auch, Bauabfälle zu reduzieren und nicht vermeidbare Abfälle möglichst zu recyceln
- Maßnahmen, die besonders klimaschädliche Materialien durch klimaschonende ersetzen. Klimaschonend sind nicht nur emissionsarme Materialien, sondern auch solche mit hoher Nutzungsdauer, die effizient und flexibel eingesetzt werden können
- Das Wiedereingliedern von Produkten oder Materialien in die Materialwirtschaft (klassische Wiederverwendung und Recycling)
Wichtig, so sagen Experten, ist es, dass der Bausektor Materialien, und zwar alte wie neue, als das sieht, was sie sind: Wertstoffe.
Besonders zentral ist das bei jenen Materialien, die hier besonders oft Verwendung finden: Stahl und Zement. Die Zementherstellung allein macht mit 8% einen erheblichen Anteil weltweiter CO2-Emissionen aus. Die Stahlproduktion schlägt mit kaum weniger, nämlich 7% zu Buche. Genau deshalb, wegen dieser immensen Treibhausgas-Emissionen, steht die Bauindustrie unter Druck. Baumaterialien müssen nachhaltig, also zirkulär und effizient genutzt werden - und wo es geht muss auf tragfähige und nachhaltigere Alternativen gesetzt werden.
Der Lifecycle-Ansatz bei nachhaltigen Gebäuden
Wenn wir von zirkulärer Nutzung sprechen, steht der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes und der verbauten Materialien im Fokus. Von den Rohstoffen über die Gewinnung zu hergestellten Produkten, des Energieverbrauchs während der Herstellung, des Transports, der Montage genauso wie später auch in der Betriebsphase des Gebäudes - und schließlich beim Abriss und der Entsorgung.
Auch Endlagerung und zukünftige Potenziale einzelner Bestandteile über die Nutzungsdauer des Gebäudes hinaus fallen ins Gewicht. Im Gegensatz zum traditionellen Fokus auf Energieeffizienz im Bau-, Produkt- und Herstellungsprozess umfasst der Lebenszyklusansatz auch die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Perspektiven über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes.
Sie wollen wissen, wie Sie Kreislaufwirtschaft in ihrem Unternehmen etablieren können? Unsere Experten Joachim Aigner mit unserem Team für Strategische Nachhaltigkeitsberatung sowie Ferdinand Zotz aus unserem Fachbereich Abfallwirtschaft und Ressourcenmanagement stehen Ihnen hier als Ansprechpartner zur Verfügung
Wann und warum sollten auch Sie Kreislaufwirtschaft einführen?
Es gibt unterschiedliche Antworten auf die Frage, warum Kreislaufwirtschaft von Gebäuden Sinn macht. Manche liegen direkt auf der Hand, andere überraschen:
1. Klimawandel und Klimaschutz
Der Klimawandel ist und bleibt die größte Herausforderung für die Menschheit. Und auch obwohl diese Erkenntnis inzwischen beim Großteil der Menschheit angekommen ist, stellt man doch fest, dass die bisherigen Maßnahmen CO₂ zu reduzieren nicht ausreichen. Die Treibhausgasemissionen sinken nicht schnell genug, um die Klimaziele zu erreichen. Die Anwendung der Kernprinzipien der Kreislaufwirtschaft aber kann helfen, hier deutlich schneller voran zu kommen. Die Zeit drängt und nun gilt es jede Hilfe zu nutzen, CO₂-Emissionen zu verringern - oder mehr noch: Gebäude klimaneutral zu machen.
2. Wille der Politik
Im Bereich der öffentlichen Vergabe gibt es zunehmend verschärfte Verpflichtungen für die Verwendung nachhaltiger Baumaterialien (etwa im neuen § 45 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes). Im März 2020 verabschiedete die Europäische Kommission einen neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Er ist einer der wichtigsten Bausteine des European Green Deal, Europas Agenda für nachhaltiges Wachstum. Er umfasst Initiativen entlang des gesamten Lebenszyklus von Produkten, die auf einen möglichst langen Verbleib der eingesetzten Ressourcen in der Wirtschaft abzielen. Dazu sind dort zusätzliche legislative und nichtlegislative Maßnahmen zur Einführung von Kreislaufwirtschaft in vielen Bereichen, wie auch der Bauindustrie geplant.
3. Wille der Investoren
Die Vergabe von Fremd- und Eigenkapital wird vermehrt daran gebunden, ob und wie gut Unternehmen zirkulär wirtschaften. Während 2017 noch kein Fonds hierauf Wert legte, setzten führende Anbieter wie BlackRock, Credit Suisse und Goldman Sachs bis Mitte 2020 zehn Public Equity Funds mit genau diesem Fokus auf. Die Zahl der Private Market Funds mit einer solchen Ausrichtung hat sich verzehnfacht. Und die Europäische Investitionsbank hat sich mit fünf der größten nationalen Förderbanken und -institutionen Europas zusammengetan, um eine Darlehens- und Investitionsinitiative in Höhe von 10 Mrd. EUR (11,8 Mrd. USD) für die Kreislaufwirtschaft zu starten.
4. Unsichere Lieferketten
Die Pandemie hatte immense Auswirkungen auf globale Lieferketten, einige sind sogar zusammengebrochen. Dies hat uns vor Augen geführt: Je komplexer eine Lieferkette, desto anfälliger ist sie. Das hat viele Unternehmen zum Nachdenken gebracht: Wie viel Kontrolle oder Mangel an Kontrolle möchte ich über kritische Komponenten oder Materialien haben? In einer Kreislaufwirtschaft entfallen Lieferketten. Rohstoffe, die ich nicht neu von fern einkaufe, sondern bei mir vor Ort in einem Recyclingprozess gewinne, haben keine traditionelle Lieferkette. Ein großer Wettbewerbsvorteil mit immensem Einsparpotenzial.
5. Rohstoffknappheit
Noch ein Thema, das die Pandemie zwar nicht verursacht, aber noch sichtbarer gemacht hat: Gerade in der Baubranche entstehen an vielen Ecken und Enden Rohstoffknappheiten und teils lange Wartezeiten. Etwa bei Stein oder Kies, zwischenzeitlich auch bei Holz. Die Wiederverwendung bereits gewonnener Materialien wirkt kraftvoll dagegen.
Wirtschaftlichkeit
Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft kann sich auch für einzelne Unternehmen schnell lohnen. Sie steigert Produktivität und Gewinn und kann den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen (etwa durch den Wegfall von Wartezeiten bei Lieferengpässen).
Grenzen der Kreislaufwirtschaft
Bei all den großen Vorteilen sei dennoch angemerkt, dass Kreislaufwirtschaft natürlich auch Grenzen hat – nämlich da, wo die ökologischen und sozialen Vorteile, etwa des Recyclings, denen der Entsorgung unterliegen. Sprich: Wenn ein Material extrem verbaut ist und seine Extraktion aufwändiger ist (finanziell, energetisch) als seine Neubeschaffung, macht Recycling keinen Sinn. Grundsätzlich gilt bei Kunststoffen Recycling immer eher als sinnvoll, bei mineralischen Stoffen kommt es auf die Qualitätsanforderung der neuen Verwendung an.
Diese Logik ist wichtig zu erwähnen, denn sie impliziert einen Appell für die Zukunft: Bei der Verwendung jedweder Materialen sollte wenn möglich beim klimafreundlichen Bau eine Wiederverwendung oder die Möglichkeit zum Recycling von vorn herein bedacht werden.
Kreislaufwirtschaft jetzt!
Es gibt noch viel zu tun: Jüngste Schätzungen gehen davon aus, dass unsere Wirtschaft bisher nur zu etwa neun Prozent zirkulär ist. Höchste Zeit, das zu ändern. Für eine nachhaltig gute Zukunft für alle ist eine nachhaltige Transformation nötig. Starten wir jetzt!
Kontakt :
Joachim Felix Aigner
Consultant - Sustainability Services
Telefon: +49 89 978970192
jai@ramboll.com
Ferdinand Zotz
Consultant - Umwelt und Gesundheit
Telefon: +49 89 978970141
FZ@ramboll.com